Neue Musik in NRW - Ausgabe Februar 2023

Ausstellung: Klang des Materials im Kunstmuseum Krefeld
Gewesen: Musikfabrik beim WDR
Angekündigt: Festival mit Musik und Kunst von Michael von Biel in Köln – Zeitinsel Sofia Gubaidulina in Dortmund u.v.a.m.

 

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[Klang des Materials im Kunstmuseum Krefeld]

 

Im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum kann man noch bis zum 26.3. eine spannende Zeit- und Klangreise antreten, bei der unter dem Titel ON AIR der Klang des Materials in der Kunst der 1950er bis 1970er Jahre erforscht wird. Vieles hat man irgendwann schon einmal gehört und gesehen, aber selten bekommt man es so kompakt präsentiert, und abgesehen davon, dass das Lauschen und Schauen einfach Spaß macht, ist es in Zeiten, in denen spartenübergreifendes Arbeiten und konzeptuelle Ansätze scheinbar neu erfunden werden, nicht verkehrt zu erkunden, was vor mehr als einem halben Jahrhundert diesbezüglich los war.

Zum Auftakt, im großen Oberlichtsaal, empfängt uns eine gleichzeitig opulente und luftige Klanginstallation von David Tudor, die man sich aus dem Salzburger Museum der Moderne ausgeliehen hat. Wie fantastische Ufos sind 20 teils weit ausgreifende Objekte im Raum drapiert, die bei genauerem Hinsehen aus den unterschiedlichsten Alltagsgegenständen wie Eimer, Fässer oder Tennisschläger zusammengesetzt sind, und bei genauerem Hinhören seltsame Geräusche von sich geben. Aufgespielte Soundfiles bringen die Objekte zum Resonieren und erzeugen ein Flirren, Zirpen, Gluckern und Knistern, das – wie der Titel Rainforest V suggeriert – den ganzen Raum in ein eigenwilliges akustisches Biotop verwandelt.

In den 1960er war Konzeptkunst ein großes Thema und Sol Lewitt versuchte sich ihr mit 35 Sätzen zu nähern, aus denen wir unter anderem lernen, dass Konzeptkünstler mehr Mystiker als Rationalisten sind und dass es darauf ankommt irrationalen Gedanken absolut und logisch zu folgen. Zwischen Rationalem und Irrationalem entsteht ein schwankender Raum und genau diese lustvolle Lücke wird erlebbar, wenn wir John Baldessari lauschen, der uns die Statements in einem verwackelten Video mit verwackelter Stimme vorsingt.

Banale Ideen können nicht durch gute Gestaltung gerettet werden, heißt es bei Sol Lewitt weiter – aber indem man sie in ihrer Schlichtheit belässt und ihnen 'absolut und logisch' folgt, können manche von ihnen Funken schlagen und ihre scheinbare Banalität transzendieren. So zum Beispiel wenn Timm Ulrichs uns ein konzert der fallenden stecknadeln imaginieren lässt oder Bruce Nauman mit dem Rücken zur Kamera 60 Minuten lang eine auf D.E.A.D. gestimmte Violine traktiert und den Akkord damit gleichzeitig zum Leben erweckt und zu Tode reitet.

Klang als Material ist natürlich auch etwas für die Macher und Tüftler und dabei dürfen Jean Tinguelys ratternde und knatternde Schrottmaschinen nicht fehlen. In Krefeld werden sie von Günther Ueckers Terrororchester sekundiert, das noch mehr Lärm macht. Sensibler geht Tinguely in seinen Radioobjekten ans Werk: Hinter einer Plexiglasscheibe sieht man unentwirrbare technische Schaltungen, durch die der Empfangsbereich eines Radios permanent leicht verstellt wird. Man hört geisterhafte Stimmen und Klänge und zwischendurch immer wieder jenes herrliche Knistern und Rauschen, das mir früher so manche Radionacht versüßt hat – ein kleiner Dreh am analogen Regler und das langweilige ARD-Nachtkonzert verflüchtigte sich in unerschöpfliche und unergründliche Geräuschwelten. Es ist nicht zuletzt dieser aus Low Tech und persönlichen Erinnerungen gespeiste nostalgische Touch, der den Reiz der Ausstellung ausmacht.

Bei Yaacov Agams Tableau Tactile Sonore darf man selbst Hand anlegen, indem man 50 auf Spiralfedern tanzende Blechkapseln zum Vibrieren und Klirren bringt, und gleich daneben lässt Pol Bury dicke Holzfinger nach Drahtsaiten tasten. Auch hier ist es die Einfachheit der Mittel, durch die eine besondere Poesie entsteht.

Es gibt viel zu entdecken in Krefeld, 20 Künstler sind mit ca. 50 Arbeiten vertreten und auch die begleitenden Aktivitäten sind interessant: Im Januar war das TAM, Theater am Marienplatz, mit einem Kagelprogramm zu Gast, am 23.2. spielen die niederrheinischen Sinfoniker Werke von Ichiyanagi, Boulez, Stockhausen, Gubaidulina und B.A. Zimmermann, am 7.3. kommt in der Mediothek Steve Reichs Pendulum Music zur Aufführung und am 9.3. und 16.3. präsentiert Thomas Janzen Sound im Avantgardefilm.

 

[Musikfabrik beim WDR]

 

Der Klang des Materials ist auch Thema in Ludmila Frajts Streichquartett Silver Sounds aus dem Jahre 1972. Sie kombiniert die Instrumente mit dem Klang von Silberlöffeln, von denen je zwei von den Notenpulten baumeln und mit Metallstäben angeschlagen werden. Zum Auftakt umhüllen die Streicher den glockenhellen Klang mit einer fragilen, wie hingehauchten Aura. In ganz andere Gefilde führt der energiegeladene, von kraftvollen Pizzikati durchpflügte Mittelteil, bevor das Stück zu seinen Anfängen zurückkehrt und fast schwelgerisch mit zartem Löffelgeklimper verebbt. Die serbische Komponistin (Lebensdaten 1919 bis 1999) ist über ihr Heimatland hinaus kaum bekannt und passt damit ausgezeichnet zu dem Motto, das die Musikfabrik unter ihrem Dirigenten Ilan Volkov für ihr 84. Konzert beim WDR gewählt hat: Hidden Treasures versammeln selten gehörte Werke von selten gespielten Komponisten und Komponistinnen – mit hohem Frauenanteil, den ich in Krefeld vermisst habe.

Ein brummelnder Kontrabass und eine fauchende Flöte stehen am Anfang von Onyx (1991), einem Stück der Amerikanerin Eleanor Hovda (1940 bis 2009), von der außer einer kurz vor ihrem Tod erschienen CD-Box hierzulande wenig bekannt ist. Die Partitur lässt dem Ensemble viel Freiraum und doch entsteht eine ganz eigenwillige Atmosphäre, die geprägt ist von einem fast romantischen Wogen und Weben. Es ist, als lugten die Rheintöchter um die Ecke, und als irgendwann zum Sturm geblasen wird, sehe ich vor meinem inneren Auge Alberich über die Bühne poltern.

Auch Bergrún Snæbjörnsdóttirs Strange Turn/Narwhal liegt eine offene Vorlage zugrunde, bei der sich die Musiker und Musikerinnen an zeitlich synchronisierten Kreiselementen orientieren und dabei ihre eigene Stimme finden sollen. Streicher und Cembalo sind teils mit Styropor präpariert, wodurch ein geräuschlastiger, rauer, knarziger Sound entsteht, der sich – wie die Spiralbahnen auf dem Stoßzahn eines Narwals – immer mehr aufschraubt und zuspitzt.

Kein Geheimtipp mehr ist die (wie Ludmila Frajt) in Belgrad geborene Milica Djordjevic (*1984), die bereits auf vielen Festivals (u.a. 2022 in Witten mit einem Porträtkonzert) vertreten war und inzwischen in Köln lebt. Djordjevic beschreibt ihr Komponieren als Kampf gegen Widerstände und das kann man ihrem neuen Werk Nalet (serbisch für eilen, stoßen) auch anhören. Nach einem zaghaften Auftakt mit grummelnder Kontrabassklarinette, spärlichen Schlagzeugakzenten und frotzelnder Trompete entsteht ein dichtes Geräuschfeld, das von wiederholten Detonationen erschüttert wird. Der Pianist versucht sich zunächst noch mit flinken Läufen über Wasser zu halten, gerät jedoch zunehmend außer Rand und Band und das ganze Geschehen kippt ins Tumulthafte, Überbordende – Flucht nach vorn ins Dramatische.

Als einziger Mann vervollständigte der Rumäne Stefan Niculescu die Runde, der mit ISON I (1971 - 73) heterophone Verwirrungen erkundet – eine lebhafte Musik, von den gespielten Stücken aber das konventionellste.

 

[Termine im Februar]

 

Köln

 

In der Philharmonie stehen Ligeti am 5.2., Alfred Schnittke, Fazil Say und Vasco Mendonça am 26.2. sowie eine Uraufführung von SJ Hanke am 12.2. auf dem Programm. In der Alten Feuerwache erwarten uns das Ensemble Garage mit Genoël von Liliensterns Unsupervised Sounds am 5.2., ein Werkstattgespräch von ON Cologne am 8.2., ein Festival mit Musik und Kunst von Michael von Biel vom 10. bis 12.2. (u.a. mit dem Asasello Quartett) und Soundtracking mit dem Trio Lange/Berweck/Lorenz am 26.2. Die Musikfabrik lädt zu Montagskonzerten am 6.2. und 27.2. in ihr Studio ein, am 1.2. findet ein Konzert der Kompositionsklassen in der Musikhochschule statt, am 12.2. bringt das Ensemble Electronic ID das Musiktheater Transparence in die Ruffactory, am 22.2. wird die Reihe Soirée Sonique im Lutherturm fortgesetzt und am 25.2. spielt Marlies Stellmacher im Lunchkonzert der Kunststation Sankt Peter Ligetis Musica ricercata.

Außerdem stellen Thomas von Steinaecker und David von Bassewitz am 6.2. im Literaturhaus die Graphic Novel Stockhausen – Der Mann, der vom Sirius kam vor.

Fast tägliche Konzerte sind im Loft zu erleben, FUNKT präsentiert jeden 2. und 4. Dienstag im Monat ein Radioformat mit Elektronik und Klangkunst aus Köln (am 14.2. mit der Therapeutischen Hörgruppe und am 28.2. mit Julian Rohrhuber) und weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm, Musik in Köln sowie Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.

 

Ruhrgebiet

 

Das Konzerthaus Dortmund veranstaltet vom 2. bis 5.2. ein Festival zu Ehren von Sofia Gubaidulina, im domicil präsentiert Umland Records am 2.2. die Formation Deviation der Gitarristin Raissa Mehner und am 16.2. die Großformation The Dorf, am 11.2. sind Bromp Treb, Sisto Rossi und Double Exposure bei mex im Künstlerhaus zu Gast und Sinfonia NRW stellt am 27.2. in der Heliandkirche das neues Projekt Der eingebildete Kranke vor, eine heitere musikalische Collage nach Molière von Johannes Marks.

 

Im Steinbruch in Duisburg steht am 2.2. das Trio Mehta/Klare/Froleyks auf der Bühne, im EarPort findet am 26.2. ein Gesprächskonzert statt und das Goldmund Quartett spielt ebenfalls am 26.2. in der Mercatorhalle Schnittkes Streichquartett Nr. 3.

 

In der Essener Philharmonie erklingt am 4.2. Endorphin von Søren Nils Eichberg und das Ensemble S201 trifft am 18.2. in der RüBühne auf Hilde. Vom 23. bis 25.2. findet in der Zeche Carl das JOE Festival statt. Von vorauseilenden Aktivitäten ab dem 20.2. gemeinsam mit dem Büro für akustische Innenraumpflege berichtet der Umlandkalender.

 

Düsseldorf

 

Vom 4.2. bis 12.2. ist im KIT unter dem Titel the space between your ears eine Klangausstellung des Komponisten und Klangkünstlers Bojan Vuletic zu erleben, die am 4.2. mit einer Performance-Night eröffnet wird. Am 15.2. werden in der Filmwerkstatt Arbeiten von Studierenden der Robert Schumann Hochschule mit dem Studienschwerpunkt Visual Music gezeigt.

 

Sonstwo

 

Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik präsentiert am 4.2. aktuellen Jazz mit dem Rainer Böhm Trio.

 

In der Bielefelder Zionskirche erklingt am 12., 19. und 26.2. alte und neue Musik.

 

Die Bonner Oper kündigt ein Konzert mit Werken von Sofia Gubaidulina und Unsuk Chin am 3.2. und die Uraufführung der Balladenmärchenminioper Mina oder die Reise zum Meer von Anno Schreier am 22.2. an. Die In Situ Art Society veranstaltet im Dialograum Kreuzung an Sankt Helena Konzerte mit dem Trio Konk Pack am 4.2. sowie mit dem Quartett Harri Sjöström, Elisabeth Harnik, John Edwards und Tony Buck am 18.2.

 

Im Krefelder TAM stehen im Februar zur üblichen Stunde jeweils freitags um 22 Uhr Kuriositäten von Urs Peter Schneider auf dem Programm.

 

In Münster erwarten uns in der Musikhochschule am 1.2. ein Konzert mit Werken von Eric Sammut, Iannis Xenakis und John Cage und in der Blackbox das Trio Konk Pack am 5.2. sowie das Quartett Harri Sjöström, Elisabeth Harnik, John Edwards und Tony Buck am 19.2.

 

Zwar jenseits der Landesgrenze aber nicht weit entfernt und mit bekannten Namen aus NRW (Kunsu Shim, Gerhard Stäbler, Eva Maria Houben) findet vom 3. bis 5.2. in Trier Opening, das Internationale Festival für aktuelle Klangkunst, statt.

 

In Wuppertal präsentiert das Ensemble Partita Radicale am 2.2. neue Musik aus Lateinamerika und im ort stehen der cine:ort am 2.2., die Reihe 'all female' diesmal mit Emily Wittbrodt und Hanna Schörken am 10.2. und die Gruppe Kavekanem am 22.2. auf dem Programm.

 

Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.

 

Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW

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