Neue Musik in NRW - Ausgabe August 2023

Gewesen: Klangraum in Düsseldorf

Angekündigt: Brückenmusik in Köln – Ausklang Soundseeing im Münsterland – Auftakt Ruhrtriennale – Fluxus Musik Zone West in Moyland u.v.a.m.

 

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[Klangraum in Düsseldorf]

 

Der Juli ist in Düsseldorf durch die alljährlich (und hoffentlich noch lange) von Antoine Beuger organisierten Wandelweiser-Klangraumkonzerte geprägt. Zwei Wochen lang kann man sich ganz der Musik hingeben. Nach einem festen Rhythmus werden im Laufe einer Woche die Beiträge der beteiligten Komponisten und Komponistinnen variiert und in wechselnder Reihenfolge dargeboten, so dass sie immer wieder neu erlebbar sind. Als ich in der ersten Woche am Donnerstagvormittag dazustoße, ist die Jazzschmiede noch erfüllt von den sommerlichen Temperaturen der Vortage, aber angenehm gemildert und in keiner Weise drückend. Schon mit den ersten Klängen des ersten Stücks, 10.3 von Levin Zimmermann, durchdringt mich dieses besondere Wandelweisergefühl, das sich von den Füßen aufsteigend ausbreitet und zu der äußeren Wärme eine innere gesellt – wie jene Wogen, die bei Entspannung den Körper fluten. Die Partitur ist wie meistens minimalistisch. Langgezogene schwarze Linien legen die Tonhöhen fest, die in einer beliebigen Oktave intoniert und leicht variiert werden können. Eingebettet in eine kaum greifbare elektronische Zuspielung und strukturiert durch fast subkutane Akzente erklingen die Töne der Mitwirkenden, deren Anzahl und deren Instrumente frei wählbar sind. Die Ohren werden wie von einer sanften Brandung umspült, in die sich Klänge betten, mal gehalten, mal hingetupft, mal vereinzelt, mal sich wiederholend, oft sich verbindend. In der Partitur sind jedem Notenblatt kurze Gedichte von Sappho in englischer Übersetzung beigesellt. Dass diese auch von Schmerz und Einsamkeit handeln („Pain penetrates me drop by drop“ „Day in day out I hunger and I struggle“), überrascht nur auf den ersten Blick, denn wie die Musik vermitteln sie Verletzlichkeit und Durchlässigkeit. Wer mag, kann sie innerlich mitschwingen lassen.

In Maureen Wolloshins A gibt es jeweils einen Solisten oder eine Solistin, die sich jedoch nicht in virtuosen Eskapaden verausgaben, sondern ganz unspektakulär gehaltene Töne aussenden. Diese können von den anderen aufgenommen, gestützt und begleitet werden, so dass sie an- und abzuschwellen scheinen. Auch hier gilt was, Levin Zimmermanns Selbstcharakterisierung auf seiner Website gut auf den Punkt bringt: „i prefer blandness to persuading; restraint to expression; doubt to ideology & community to competition.“ - also in etwa: „Ich ziehe Sanftmut dem Überzeugen, Zurückhaltung dem Ausdruck, Zweifel der Ideologie und Gemeinschaft dem Wettbewerb vor.“ Aufeinander hören, sich zurücknehmen, sich miteinander einschwingen prägt das Geschehen und umfasst auch mich, so dass ich mich ohne aktiv mitzuwirken als zugehörig erlebe.

Ganz ungewohnte Klänge lässt Emmanuelle Waeckerlé in ihrem Stück what is left if we aren't the world anstimmen. Zum Auftakt bricht Chaos los, ein Blöken und Quäken in fff wie man es bei Wandelweiser noch selten gehört hat. Es dauert eine Weile, bis sich die Gemüter beruhigen, manchmal versucht sich der Aufruhr erneut Bahn zu brechen, schließlich verebbt das Gebrodel, mündet in ruhige Gewässer, läuft sanft aus. Der Ablauf ist nur annähernd vorgegeben, so dass sich die Beteiligten jedes Mal von neuem ihren Weg bahnen müssen, vom Gegeneinander zum Miteinander, vom Tumult zur Befriedung. Aber geht das so einfach? Woher kommt das Chaos? Ist es ein aggressives und destruktives oder kann es auch kreativ und lustvoll sein? Bricht es über uns herein, bricht es aus uns heraus oder lösen wir es aus? Sind wir Täter oder Opfer und ist das ppp am Ende eine Beruhigung oder eine Erschöpfung? Waeckerlé hat sich während der Pandemie zu diesem Pandämonium inspirieren lassen, doch in dieser Zeit der Verunsicherung war es ihr möglich, sich ein Refugium der Ruhe zu bewahren: „I was relishing that new pervasive inner and outer quietness, amid the global pandemonium.“ Doch so langsam scheint uns die Welt da draußen einzuholen und anders als bei Wandelweiser sind die globalen Mitwirkenden nicht unbedingt geneigt, wohlmeinend an einem Strang zu ziehen.

Erfrischend spielerisch geht es in Gregor Forbes Werk differend zu. Die Versuchsanordnung ist denkbar einfach: Ein geübter Violinist wird von zwei Spielenden flankiert, die mit dem Instrument nicht vertraut sind. Sie lassen sich zunächst von ihm leiten, schauen ihm im wahrsten Sinne des Wortes auf die Finger, gehen dann aber auch eigene Wege und orientieren sich aneinander. Ziel ist es jedoch nicht, möglichst klare, klangsatte Töne zu erzeugen, im Gegenteil; zu Gehör kommen fragile Geräuschexkursionen, ein Flirren und Knistern, ein Zirpen und Knarzen, als würde man auf Zehenspitzen über zerbrochenes Glas oder alte Holzdielen schleichen – Assoziationen, die Forbes in seinen knappen verbalen Anweisungen anklingen lässt. Für Neue-Musik-Ohren sind das natürlich keine Neuigkeiten, aber das Besondere ist, dass durch die Ungeübtheit der Spielenden eine wunderbare Behutsamkeit und Zärtlichkeit entsteht. Sie gehen mit einer Vorsicht und Neugier ans Werk, die einem Profi womöglich gar nicht mehr zu Gebote steht. Dadurch wird jedes noch so fragile Gefissel zu einer Entdeckung und es macht Spaß, Ihnen dabei zuzuhören und zuzuschauen und ihren Blicken und Händen zu folgen.

 

[Termine im August]

 

Köln

 

Noch bis zum 6.8. findet die Brückenmusik statt. In diesem Jahr präsentiert das Künstler:innenkollektiv Black Quantum Futurism im Hohlkörper der Deutzer Brücke mit MirrorTimeMirror eine komplexe Klang- und Videoinstallation. In der Philharmonie stehen SJ Hankes Streichquartett Fever Sketches am 13.8. und Jörg Widmanns Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 am 31.8. auf den Programm. In der Kunststation Sankt Peter erwarten uns das Ensemble tra i tempi am 12.8., Darius Heid und Ensemble am 25.8. und Lunchkonzerte am 19. und 26.8. In den Räumen der Musikfabrik findet am 18.8. eine Tagung des Landesmusikrats NRW zum Thema 'Musikleben und Digitalität' statt. Dabei kommt Michael Beils Werk String Jack zur Aufführung. Außerdem gibt es am gleichen Ort ein Montagskonzert am 21.8. und am 30.8.ein Konzert anlässlich des ersten Todestages von Ulrich Löffler. In der Alten Feuerwache ist am 23.8. das Catinblack Ensemble zu Gast und im Rahmen der Reihe Klangkolchose NRW kommt das Ensemble The Royal Winter Music am 30.8. in den Lutherturm.

 

Einblicke in die freie Szene bekommt man bei ON Cologne und Noies, der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW. ON veranstaltet in der Alten Feuerwache ein Werkstattgespräch am 9.8., Workshops und Performances unter dem Motto ON After School Festival vom 17. bis 19.8. und ONPaper-Workshops zum Thema Projektförderung am 21. und 28.8.

 

U.a. im Loft und im Stadtgarten findet vom 12. bis 18.8. die Cologne Jazzweek statt. Außerdem präsentiert die reiheM am 24.8. im Loft die Inner Cop Avoidance & Trjj Group und im Stadtgarten erinnert am 17.8. eine Veranstaltung an den im Januar verstorbenen Udo Moll.

FUNKT sendet jeden 2. und 4. Dienstag im Monat ein Radioformat mit Elektronik und Klangkunst aus Köln. Weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm, Musik in Köln sowie Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.

 

Ruhrgebiet

 

Am 10.8. startet die Ruhrtriennale in die dritte und letzte Saison unter der Intendanz von Barbara Frey. Auf dem Programm stehen im August Die Erdfabrik von Georges Aperghis ab 11.8., ein Schlagzeugmarathon am 26.8. und Maschinenhausmusik am 23.8. mit Eve Risser und Kee Avil und am 30.8. mit Mats Gustafsson, Barry Guy und Jordina Millàs.

 

Vom 24. bis 27.8. findet in Dortmund das Visual Sound Outdoor Festival statt.

 

Am 2.8. steht das Trio Amend/Eisold/Camatta im Duisburger Steinbruch auf der Bühne und am 31.8. geht die Reihe Soundtrips NRW im Lokal Harmonie mit Andrea Parkins und Yorgos Dimitriadis in die nächst Runde.

 

Die Gesellschaft für Neue Musik Ruhr veranstaltet am 5. und 6.8. in ihrer Zentrale am Viehofer Platz in Essen ein Sommerfest und am 27. und 29.8. ist die Reihe Klangkolchose NRW in Sankt Maria Empfängnis zu Gast – am 29.8. mit The Royal Winter Music.

 

Sonstwo

 

Soundseeing, das münsterlandweite Klangkunstfestival, präsentiert noch bis zum 12.8. Zwitschermaschinen in Altenberge, bis zum 20.8. Emega Ogboh im Kunsthaus Kloster Gravenhorst in Hörstel, vom 30.7. bis 27.8. eine Licht- und Klangausstellung von Achim Vogel Muranyi im Kunstverein Münsterland in Coesfeld, das Trio Blonk/Froleyks/Roth am 3.8. im LWL-Museum in Bocholt und am 4.8. im Rock'n Popmuseum in Gronau sowie einen KlangKunst Tag und ein Mobiles Musik Museum am 26.8. im ARTandTECH.space in Rheine.

 

Die Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen befasst sich am 4.8. in der Reihe 'Hören und Sprechen über neue Musik' mit Oxana Omelschuk. Außerdem sind am 19.8. das Simon Rummel Ensemble und am 26.8. die Big Bandits  zu Gast.

 

Die Cooperativa Neue Musik in Bielefeld veranstaltet am 27.8. ein Wandelkonzert auf Gut Oberbehme.

 

Das E-Mex-Ensemble ist am 25.8. im Museum Goch zu erleben und die Reihe Klangkolchose NRW macht am 5.8. in Iserlohn Station.

 

Im Museum Schloss Moyland wird am 13.8. eine Ausstellung über Fluxus Musik Zone West eröffnet.

 

In Solingen erwarten uns zwei Veranstaltungen in der Reihe 'Gewalt und Mitgefühl': am 4.8. im Lichtturm und am 28.8. mit The Royal Winter Music in der Festhalle Ohligs.

 

Der Wuppertaler ort startet am 20.8. mit dem Septett Jazzpool NRW und dem Simon Rummel Ensemble in die neue Saison.

 

Weitere Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.

 

Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW

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