Gazette: Neue Musik in NRW - Ausgabe Dezember 2016

von Petra Hedler

Gewesen: NOW! in Essen
Angekündigt: Kölner Ensemblefestival WERFT – 30 Jahre Edition zeitgenössische Musik – EarFest in Duisburg u.v.a.m.

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[NOW! in Essen]

Mit seiner sechsten Ausgabe widmete sich das Essener NOW!-Festival an drei langen Wochenenden Ende Oktober/Anfang November unter dem Motto Word up! dem Verhältnis von Musik und Sprache und damit einem Thema, das Musiker und Komponisten schon seit Menschengedenken umtreibt. Wie bereits in den Vorjahren setzte man dabei auf einen bewährten Mix, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen, ohne sich (wie teilweise beim letzten Kölner Achtbrücken-Festival geschehen, s. Juni-Gazette) in allzu seichte Gewässer zu verirren: moderne Klassiker präsentiert von hochkarätigen Ensembles wie dem Ensemble Modern und dem Ensemble intercontemporain, einige Uraufführungen, Nachwuchsförderung, Einbindung verschiedener Essener Institutionen und kleinere Exkursionen in Grenzbereiche. So gab es die wunderbare Gelegenheit Nonos Il canto sospeso und La fabbrica illuminata, Berios A-Ronne und Sequenza III, Schönbergs Pierrot lunaire und Bergs Altenberg-Liedern wiederzubegegnen. Als Folkwang-Urgestein kam auch der gebürtige Bayer Nikolaus A. Huber mit seinem Versuch über Sprache zu Wort. Gefragt, was die gegenwärtige Generation von der seinen unterscheide, bemerkte er, an die Stelle eines Strebens nach Veränderung sei die Virtuosität des Machens getreten. Vor allem durch den Einsatz des Computers eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten, wie der in Berlin lebende Tscheche Ondrej Adámek in einem ihm gewidmeten Porträtkonzert mit dem Ensemble 2e2m demonstrierte. Sinuous Voices für 17 Musiker basiert auf der Analyse von zwei Gesangsaufnahmen, doch der Zusammenhang ist rein technischer Natur, denn in dem von wildem Pizzicato, stringenten Rhythmen und markanten Bläser- und Schlagzeugakzenten geprägten Stück erinnert nichts mehr an die zugrundeliegenden Gebetslitaneien und Wiegenlieder alter Frauen. Unmittelbarer begegnen sich Musik und Sprache in Ça tourne ça bloque, bei dem die Musik die japanischen und französischen Text-Zuspielungen zu imitieren scheint. In Karakuri – Poupée Mécanique bringt die Sprachperformerin Shigeko Hata auch theatrale Elemente ins Spiel, bei dem eine mechanische Puppe aus dem Japan des frühen 19. Jahrhunderts Pate stand. Adámeks Musik ist voller Energie und Humor, doch manchmal wirkt sie etwas oberflächlich – es bleibt bei der Lust am Machbaren. Dies zeigt besonders seine Airmachine, bei der Staubsaugergebläse Einweghandschuhe, Gummischweinchen, Tröten und andere Utensilien zu einem skurrilen Ballett animieren. Ein Gag, der sich schnell erschöpft, optisch ganz amüsant, akustisch belanglos bis nervig.
Auch Trevor Wisharts 75-minütiges Lautsprecherstück Encounters in the Republic of Heaven - ...All the Colours of Speech basiert ganz auf Sprachanalysen. Zugrunde liegen die Erzählungen einfacher Menschen aus dem Nordosten Englands, einer Region die ähnlich wie das Ruhrgebiet durch Deindustrialisierung und Strukturwandel geprägt ist. Wishart rückt dem Material mit allen technischen Raffinessen des Computerzeitalters zu Leibe. Akkordstrukturen, Sprachrhythmen und -melodien werden extrahiert, manipuliert und in einen eigenständigen Klangraum transformiert, der vor allem musikalischen Kriterien gehorcht. Doch auch wenn die Texte nur in Ansätzen verständlich sind, es entsteht nie jene sterile Atmosphäre, die elektronischen Werken oft anhaftet. Die Menschen und ihre Geschichten bleiben präsent, auch wenn ihre Stimmen zu Lautpartikeln zerstieben.
Als Musiktheater für Dialoge, Musikensemble, Bilder, Kamancheh und einen Erzähler wird das neue Werk Lagune von Amen Feizabadi angekündigt, einem 1983 in Teheran geborenen Komponisten, der seit einigen Jahren seine Studien an der Folkwang-Hochschule fortsetzt. Im Zentrum des Werks stehen ein Fährmann und seine drei sehr unterschiedlichen Passagiere. Ihre Geschichten und Motive blitzen in seiner Erzählung und ihren Dialogen nur bruchstückhaft auf, die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit verschwimmen. Der Fährmann selbst räumt ein, dass er die Identitäten seiner Gäste neu erfindet, wobei er sich immer mehr in seine eigene zunehmend feindselige Welt verstrickt. Rasch entsteht eine gespenstische, unheimliche Atmosphäre, die durch die Art der Präsentation noch verstärkt wird. Denn nur der Fährmann ist auf der ansonsten fast leeren Bühne präsent, die übrigen Personen tauchen nur als körperlose Stimmen sowie schemenhaft in Videozuspielungen auf. Zu Bild und Text gesellt sich als eigenständiges Element die Musik, eine fragile Klanglandschaft, in der die Kamancheh, ein iranisches Saiteninstrument, eine besondere, gelegentlich arabische Modi aufgreifende Stimme bildet. Hieraus entsteht eine interessante Versuchsanordnung, die jedoch nicht ganz aufgeht. Das Geschehen ist zu textlastig, Musik und Bilder werden zu bloßem Beiwerk. Als sich der Fährmann dann noch als Mörder outet, der seine Gäste gezielt in den Tod manövriert, droht die Aura des Ungreifbaren und Geheimnisvollen sich endgültig zu verflüchtigen. Auch wenn Fiktion und Realität bis zum Schluss nicht klar geschieden sind, zurück bleibt eine profane Kriminalgeschichte, der Zauber verfliegt.
An den drei Wochenenden gab es noch viel mehr zu entdecken. Die polnische Musikerin Agata Zubel war sowohl als Interpretin als auch als Komponistin zu erleben, das Ensemble Modern hatte das gemeinsam mit dem Schriftsteller Ingo Schulze für ein Frankfurter Literaturfestival erarbeitete Programm 33 Augenblicke des Glücks im Gepäck und das Perkussionsensemble Splash hob ein Stück von Birke Bertelsmeier aus der Taufe, bei dem auch die Allerkleinsten mitwirken konnten. Zu den bereits in den Vorjahren bespielten Grenzregionen gehörte der Club Hotel Shanghai, den diesmal Hans Dietrich Gangsta mit Slam-Poetry und Rap aufmischte, und zum Abschluss sorgte Pendereckis opulente Lukaspassion in Anwesenheit des Komponisten für volles Haus. Ein reichhaltiges Programm, bei dem jeder fündig werden konnte, auch ohne Walgesänge und Duftstäbchen.

[Termine im Dezember]

Köln

ON veranstaltet vom 2. bis 4.12. WERFT, das erste Kölner Ensemblefestival für Neue Musik. Mit dabei sind die Musikfabrik, die Kölner Volkalsolisten, das Ensemble hand werk, das Ensemble Garage, MAM – Manufaktur für aktuelle Musik,Concerto Köln und Electronic ID. Beim Tripclubbing am 8.12. im Stadtgarten kann man dem Ensemble hand werk erneut begegnen, zudem sind dort am 9.12. Hans Tammen mit den Soundtrips und am 12.12. Sidsel Endresen, die Grand Dame der kreativen Improvisationskunst, in der Reihe 'Stimmungen' zu erleben. Die Musikfabrik lädt am 19.12. zum Montagskonzert, außerdem findet am 12.12. ein Campus-Konzert mit Musikern aus Teheran statt und am 15.12. wird die Nachwuchsförderreihe Composer Collider mit der Hornistin Christine Chapman fortgesetzt. In der Philharmonie erklingen am 11.12. Werke von Bruno Mantovani und Kimmo Hakola. In der Alten Feuerwache ist am 2.12. in der reiheM Frédéric le Junter mit hausgemachten Instrumenten zu erleben und am 6.12. präsentiert female:pressure elektronische Musik von Frauen. Am 10.12. wird beim Deutschlandfunk der 30. Geburtstag der Edition zeitgenössische Musik gefeiert (Eintritt frei!). Ebenfalls beim DLF kommt am 13.12. im Rahmen des 3. Raderbergkonzertes Henzes Kammersonate für Violine, Violoncello und Klavier zur Aufführung und beim WDR findet am 18.12. ein Musik der Zeit-Konzert mit den Neuen Vokalsolisten Stuttgart statt. In der Kunststation Sankt Peter stehen neben Lunchkonzerten am 3., 10. und 17.12 die Dezemberimprovisationen am 4.12. sowie Konzerte zum Weihnachtsabend und zu Silvester auf dem Programm. In der Musikhochschule finden Konzerte mit dem ensemble20/21 am 1.12. sowie am 6.12. (Reihe Spitzentöne), ein Konzert Neue Musik am 7.12., ein Klassenabend Tonsatz am 8.12. und Konzepte zur Improvisation am 15.12. statt. Außerdem wird während der diesjährigen Claviernacht am 2.12. Friedrich Jaeckers 2nd Floor in zwölf Räumen gleichzeitig aufgeführt. In der Kunsthochschule für Medien sind Jaki Liebezeit und Joseph Suchy am 15.12. in der Reihe Soundings zu Gast und am Musikwissenschaftlichen Institut der Uni Köln ist am 9.12. Michel Chion mit einem Vortrag und anschließendem Konzert zu erleben. Das Asasello Quartett stellt am 2.12. Rack von Jukka Tiensuu einem Streichquartett von Beethoven gegenüber und beim nächsten Chamber Remix am 4.12. treffen Bassem Hawar, Albrecht Maurer und Marion Wörle aka Frau W aufeinander. In der Gelben Villa in Hürth spielt am 18.12. der Cellist Friedrich Gauwerky Musik der Avantgarde. Im Loft steht u.a. am 5.12. das Schlippenbach Trio auf der Bühne, am 10.12. das Albrecht Maurer Quartet und am 17.12. Lan La mit präpariertem Klavier.
Weitere Konzerthinweise wie üblich bei kgnm und musik-in-koeln.de.

Ruhrgebiet

In der Reihe Klangbilder spielt Martin Blume mit Conny Bauer, Luc Houtkamp & Dieter Manderscheid am 11.12. im Bochumer Kunstmuseum.

Der Duisburger EarPort lädt vom 1. bis 4.12. zum zweiten EarFest. Zum Auftakt widmet sich am 1.12. Alexandra von der Weth in einem Gesprächskonzert dem Thema 'Wirkung der Musik auf unsere Psyche', am 3.12. folgt ein Abend für Musik, Sprache und Performance und am 4.12. Gestaltet das Crush Ensemble das Abschlusskonzert mit Musik und Texten von Frauen. Die Duisburger Philharmoniker spielen im Rahmen ihres 5. Philharmonischen Konzerts am 7. und 8.12. Ligetis Atmosphères.

Tatsuru Arai, Seiji Morimoto und John Chantler sind am 2.12. im Dortmunder mex zu Gast und Irene Kurka ist mit dem Stationen Ensemble am 8.12. beim Dortmunder Kammermusikfest dabei.

In der Essener Folkwanghochschule stehen am 1. und 15.12. Tape Sessions auf dem Programm und beim 9. Folkwang Kontrabass-Marathon werden am 7.12. das Thema 'Komponistinnen und Kontrabass' und am 8.12. neue Musik für Kontrabass in den Blick genommen.

Düsseldorf

Das notabu.ensemble widmet sein nächstes Tonhallenkonzert am 9.12. in der Reihe 'Na hör'n Sie mal' David Graham anlässlich seines Abschieds von der Clara-Schumann-Musikschule.In der Filmwerkstatt ist am 10.12. Hans Tammen im Rahmen der Soundtrips zu Gast und der nächste Salon Neue Musik im Klangraum 61 findet am 2.12. statt.

Sonstwo

Soundtrips NRW präsentiert Hans Tammen und seine Endangered Guitar vom 4. bis 10.12. in Münster, Bonn, Wuppertal, Köln und Düsseldorf mit wechselnden Gästen.

Die Bielefelder cooperativa neue musik befasst sich beim nächsten Jour Fixe am 5.12. mit Andi Otto.

Beim nächsten Bonner Wortklangraum am 7.12. erklingt Musik für Orgel-Positiv u.a. von Johannes Fritsch.

EarQuake, das Epizentrum für experimentelle Musik der Detmolder Hochschule für Musik, stellt sich am 20.12. mit einem Klassenabend Komposition vor.

Die Niederrheinischen Symphoniker spielen bei ihrem 3. Sinfoniekonzert vom 13. bis 16.12. in Krefeld und Mönchengladbach Werke von Peteris Vasks und Carter Pann.

Die Bayer-Philharmoniker und die Klarinettistin Sharon Kam bringen am 6.12. im Erholungshaus Leverkusen das Opus Magnum von Hans Steingen zur Uraufführung.

Beim Konzert des Studios für Neue Musik der Uni Siegen am 1.12. erklingt Musik von Martin Herchenröder.

In der Wuppertaler Reihe 'Unerhört' ist am 9.12. das Christoph-Schiller-Trio in der Neuen Kirche Sophienstraße zu Gast (dieses und weitere Jazzkonzerte bei jazzage). Im ort stehen die Reihe cine:ort am 1.12. sowie Konzerte mit Alexander von Schlippenbach am 6.12. und Georg Graewe am 10.12. auf dem Programm. Schlippenbach ist außerdem am 3.12. in Bielefeld, am 5.12. in Köln und am 7.12. in Erftstadt zu erleben.

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