Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe Juli 2018

Gewesen: feXm-Projekt The Suitcase in Moers - Musik der Zeit beim WDR

Angekündigt: Klangräume in Düsseldorf – Woche der Neuen Musik in der Folkwanghochschule u.v.a.m.

 

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[feXm-Projekt The Suitcase in Moers]

 

Im Juni fand die aktuelle vierteilige feXm-Musiktheaterreihe The Suitcase, über die ich bereits berichtet habe (s. Gazetten Januar 2018 und November 2017), am Schlosstheater Moers ihren Abschluss. Das als „unterhaltsames Vexierspiel um Obsession, Realitätsverlust und Metamorphose“ angekündigte intermediale Musiktheaterprojekt von François Sarhan sollte diesmal „die ganze Geschichte“ liefern, doch wer auf eine stringente Auflösung der vielfältigen Handlungsstränge und Verwicklungen gehofft hatte, wurde – zum Glück – enttäuscht. Zwar kann man sich einiges zusammenreimen, aber der Charme des Ganzen besteht gerade im Unstimmigen, Doppelbödigen, Uneindeutigen, teilweise Überzeichneten und Unbeholfenen. Nicht nur die Geschichte um einen Koffer, dem alle nachjagen, ohne dass sich je klären lässt, was er enthält, der letztlich nur als Projektion unserer eigenen Obsessionen fungiert, ist chaotisch und abstrus. Auch sonst passt nichts zusammen. Im Video agieren die Darsteller in einer detailverliebt ausstaffierten Pappkulisse, Stimmen und Geräusche jedoch entstehen live, so dass sich der Eindruck einer misslungenen Synchronisation einstellt. Das Geschehen springt zwischen Film und Bühne hin und her und schwappt auch schon mal ins Publikum, wie überhaupt die intimen Verhältnisse des Schlosstheaters einen nicht unerheblichen Reiz ausmachen. Alles ist zum Greifen nah, manchmal hat man die Schauspieler fast auf dem Schoss sitzen und dem Geräuschemacher Peter Sandmann kann man inmitten seines überbordenden Sammelsuriums genau auf die Finger schauen. Die Strippen zieht die geheimnisvolle Stolnaya (Janina Akhmetova), die zum Schluss für einen dramatischen Showdown sorgt. Ihr erstes Opfer ist der arme Schmuk, der im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kommt und sich in der Hölle wiederfindet, wo er bis in alle Ewigkeit mit Brahms gelangweilt und gequält wird. Als wäre das noch nicht genug, streut Sarhan skurrile Einfälle ein, die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben. Der zwielichtige Ladislas erscheint in einem dadaistischen Schaumstoffanzug, einem sogenannten Acousuite, der die Akustik des Raums der Stimmung seines Trägers anpassen soll, und die beiden Musikerinnen Sabine Akiko Ahrendt und Annegret Mayer-Lindenberg präsentieren die neu entdeckte Gattung der 1-Sekunden-Lieder, die bei aller Kürze dann doch etwas länger dauern, sich dafür aber geschmeidig jeder Lebenslage anpassen. Dabei kommen Strohgeige und Strohbratsche zum Einsatz, die mit einem Metalltrichter anstelle des Resonanzkörpers für einen knarzig-knattrigen Sound und damit sowohl auf optischer als auch akustischer Ebene für Irritation sorgen. Zu den Musikern gesellt sich das Moerser Schauspielensemble, das mit spürbarem Vergnügen bei der Sache ist und die Charaktere lustvoll überzeichnet. Einiges kommt über einen netten Gag nicht hinaus, doch was für sich betrachtet manchmal geradezu naiv anmutet, rundet sich in der kompakten Darbietung des vierten Teils zu einem stimmigen Ganzen und macht gerade in seinem gewollten und gekonnten Dilettantismus Sinn und Spaß.

Dass das Schlosstheater Moers auch ohne Unterstützung des Kultursekretariats ausgesprochen experimentierfreudig ist und einen Hang zu skurrilem Humor hat, zeigt aktuell eine weitere Inszenierung. Mit Der Ring – Rheingold im Königssee versetzt Ulrich Greb das komplexe Geschehen rund um den Ring des Nibelungen, mit Anleihen bei Wagner, Hebbel und dem Nibelungenlied, kurzerhand in ein Einkaufszentrum, das offensichtlich schon bessere Tage gesehen hat. Das Wallzentrum wird zur Götterburg Walhall und obwohl die beiden Produktionen, soweit ich das überblicken kann, in keinem direkten Zusammenhang stehen, gibt es erstaunliche Parallelen. Erneut ist die Nähe zum Publikum Programm, die Zuschauer werden unmittelbar in die Handlung einbezogen und folgen dem Geschehen treppauf und treppab; die Nibelungen schuften in der Tiefgarage und das große Gemetzel an Etzels Hof findet passenderweise in einer Tanzschule statt. Für die phantasievollen Requisiten kommen einfachste Materialien vorzugsweise Pappe zum Einsatz und das Ensemble zeigt sich erneut ausgesprochen wandlungsfähig und spielfreudig – mein Interesse am Schlosstheater Moers ist in jedem Fall neu geweckt!

 

[Musik der Zeit beim WDR]

 

Im Zentrum der WDR-Reihe 'Musik der Zeit' stand in dieser Saison anlässlich seines 100. Geburtstags Bernd Alois Zimmermann und so durfte er auch im letzten Konzert nicht fehlen. Das WDR Sinfonieorchester brachte am 23.6. im Funkhaus Wallrafplatz unter der Leitung von Michael Weinberger sein Concerto en forme de pas de trois für Violoncello und Orchester mit Oren Shevlin als Solist zur Aufführung, ein imaginäres Ballett, in dem Schwäne, Feen und Don Quichotte durch die Noten geistern. Im Gegensatz zum Roi Ubu, einem reinen Collagestück, kommt Zimmermann dabei zwar ohne direkte Zitate aus, bedient sich aber großzügig im Repertoire der Stile und Gattungen und lässt Marsch-, Jazz- und Bluesanklänge einfließen. Zudem erhält die Musik durch die Einbeziehung eines ungewöhnlichen Instrumentariums wie Mandoline, E-Gitarre, Harfe, Cimbalom, verstärktem Kontrabass und Glasharfe eine besondere Aura.

Auch die beiden neuen Stücke des Abends verwenden Fremdmaterial, jedoch auf gänzlich verschiedene Weise. Isabel Mundry taucht in ihrem neuen Werk Endless Sediments tief ein in die Ablagerungen der Musikgeschichte und lässt sich inspirieren von komplexen Rhythmusschichten, gregorianischen Chorälen und responsorialen Strukturen, wie sie u.a. in der Volksmusik der Schweizer Berge Verwendung finden. Allerdings werden diese Einflüsse mehrfach gebrochen und sind im klingenden Ergebnis allenfalls zu erahnen. Die fünf sich überlagernden Rhythmen des ersten Teils werden derartig fragmentiert, dass kein rhythmischer Fluss zustande kommt. Die Musik wirkt suchend, fragend, fragile Gesten (z.B. das Knistern von Papier) stehen neben kraftvollen Akzenten, die jedoch oft ins Leere laufen, der Grundtenor ist schwermütig, die Geschichte ist präsent, doch sie bietet keinen verlässlichen Halt.

Den sucht Simon Steen-Andersen, Preisträger des Mauricio Kagel Musikpreises der Kunststiftung NRW 2017, erst gar nicht. Sein Double Up bleibt ganz im Hier und Jetzt und lässt den Alltag in Form von Samples direkt in den Konzertsaal eindringen. Atemgeräusche, Polizeisirenen, Bierglucksen, Stimmengewirr, Telefonklingeln werden fast ungefiltert präsentiert und vom Orchester imitiert, aufgenommen, weitergeführt und konterkariert. Das Ganze in kleinste Schnipsel zerhäckselt, durch den Wolf gedreht, durch Wiederholungsschleifen gejagt; ein lust- und humorvolles Sammelsurium, dem ich zunächst gerne gefolgt bin, das sich aber nach einiger Zeit erschöpft hat. Zu meiner eigenen Überraschung war es dann doch Zimmermann, der mich am meisten gepackt hat.

 

[Termine im Juli]

 

Köln

 

In der Philharmonie erklingt Magnus Lindbergs Konzert für Violine und Orchester am 6. und 7.7. und am 8.7. wird Philippe Manourys Konzert für Flöte und Orchester aus der Taufe gehoben (weitere Aufführungen am 9. und 10.7.). In der Kunststation Sankt Peter steht neben den monatlichen Orgelimprovisationen am 1.7. und den Lunchkonzerten am 7. und 14.7. ein Konzert mit Pyrotechnik am 11.7. auf dem Programm. In der Alten Feuerwache erkundet das Ensemble Partita Radicale am 4.4. gemeinsam mit den Künstlern Florian Zeeh (Video) und Christiane Rasch (Skulptur) Slow Motion-Prozesse, in der Hochschule für Musik und Tanz stellt sich am 6.7. das Studio für elektronische Musik vor und am 7.7. präsentiert das Studio Musikfabrik eine kleine Nachtmusik. Im Museum für angewandte Kunst (MAKK) wird die Installation HAUT dry/wet von Anke Eckardt am 5.7. mit einer Performance verabschiedet und im Museum Schnütgen ist noch bis zum 1.7. eine Re-Installation von Christina Kubisch zu erleben. Im Loft stehen u.a. Bachelor- und Masterkonzerte auf dem Programm und weitere Termine finden sich wie üblich bei kgnm.

 

Ruhrgebiet

 

Die Essener Folkwanghochschule veranstaltet vom 2. bis 6.7. die Woche der Neuen Musik mit Elektronik, Akusmatik und frischen Klängen. Dabei stellen sich auch zwei neue Folkwang-Professoren vor: die langjährige Bratschistin des ensemble recherche Barbara Maurer (Professorin für neue Musik) und Michael Edwards (Professor für elektronische Komposition). Außerdem stehen Prüfungsabende für Komposition und Neue Musik am 6., 7., 9. und 20.7., ein Abend mit dem Impr%chester am 11.7., frische Klänge extra am 13.7. und Retrospecteria, ein Musiktheater von Christine Bödeker, ebenfalls am 13.7. auf dem Programm.

 

Düsseldorf

 

Zwei sehr unterschiedliche Klangräume lassen sich im Juli in Düsseldorf entdecken. Vom 1. bis 8.7. kann man das ART Ensemble NRW und das Ensemble Horizonte erleben oder an einer Exkursion in einen Abwasserkanal teilnehmen. Vom 24. bis 28.7. laden dann day to day die Wandelweiser in den Kunstraum. Unter anderem erwarten uns eine Neuinterpretation von Krapp's last tape von Samuel Beckett, Psalmen von Toby Roundell mit Irene Kurka, und preludes von Eva-Maria Houben.

Am 5. und 6.7. veranstaltet die Musikfabrik mit der Deutschen Oper am Rhein ein Musiktheaterprojekt.

 

Sonstwo

 

Die Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen präsentiert am 7.7. das Impro-Ensemble Fliegende Kuh in einer Video-Foto-Glasinstallation und im Konzertsaal des Aachener Ablegers der Kölner Musikhochschule erklingt am 2.7. zeitgenössische Musik aus Brasilien.

 

Markus Stockhausen ist am 21.7. mit seinen Moving Sounds im Altenberger Dom zu Gast.

 

Der nächste Jour fixe der Bielefelder cooperativa neue musik befasst sich am 2.7. mit Vivan Bhattis musikalischen Grenzgängen zwischen Subkultur und Hochkultur.

 

In der Detmolder Musikhochschule stehen Werkstattkonzerte der Schlagzeugklasse am 2., 3. und 10.7. auf dem Programm und im Rahmen der Veranstaltungsreihe MUSICA SACRA interpretiert der Kammerchor der Hochschule am 13.7. in der Heilig Kreuz-Kirche Chorwerke von Gubaidulina und Rautavaara (am 14.7. auch in der Lambertikirche in Münster).

 

Am 5.7. spielt das rheinische Streichquartett im Keramion in Frechen Kammermusik von Bernd Alois Zimmermann im Rahmen der Veranstaltungen anlässlich seines 100. Geburtstags.

 

Im Theater Münster kommt am 1.7. das Kindermusiktheater Wie klingt Nimmerland? von Gerhard Stäbler zur Aufführung und die Musikhochschule kündigt für den 6.7. ein Konzert Für Franz und Morton in der Christuskirche an.

 

Das Studio für Neue Musik der Universität Siegen veranstaltet am 19.7. ein Konzert für Flöten und Schlaginstrumente.

 

Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW